In: Frankfurter Rundschau, 30. Juni 2006

 

Die Traditionalistin

 

Christiane Underberg und ihre Familie führen das Getränke- Unternehmen mit Respekt für die sozialen und ethischen Belange

 

Von Heike Leitschuh-Fecht

 

 

 

„Kräuterhexe“ von Underberg. Damit erst gar nicht der Eindruck von journalistischer Despektierlichkeit entsteht: Christiane Underberg, Seniorchefin des 160 Jahre alten Familienunternehmens, nennt sich selbst so. Sie kümmert sich persönlich und mit Begeisterung um die Qualität der Zutaten für das gut gehütete Underberg-Geheimnis und anderer Getränke. Der Kräutergarten auf dem Gelände des Stammhauses mitten in Rheinberg ist ihre alleinige Domäne.

„Oft verschwinde ich stundenlang in die Küche und teste die Rohstoffe“, erzählt die eloquente Christiane Underberg und man spürt, wie viel Freude ihr das machen muss. Denn auf die Rohstoffe kommt es an.

 

Die Firma Underberg, das ist nicht einfach nur ein altes Unternehmen. Das ist Tradition pur, die förmlich aus allen Poren tropft, wenn man das Stammhaus im rheinländischen Rheinberg betritt:  Ahnengalerien, dicke Teppiche, Biedermeiermöbel. Und in der Tat, die Familie Underberg ist im hohen Maße traditionsbewusst – auf eine sympathische, auf eine im echten Wortsinne nachhaltige Art und Weise. Christiane Underberg, ihr Mann Emil und die Tochter Hubertine leiten das Unternehmen nun in der vierten und fünften Generation mit einem Führungsstil, der sich an ethischen, sozialen und ökologischen Werten orientiert und mit dem festen Willen, die Arbeit und das Erbe ihrer Vorfahren nicht für kurzfristig winkende Gewinnchancen aufs Spiel zu setzen.

Es ist noch nicht lange her, so berichtet die 65-jährige Unternehmerin, da taten sich solche Verlockungen auf. Ein Millionengeschäft hätten die Underbergs machen können, wären sie auf das Angebot eingegangen, den Vertrieb für ein „Szenegetränk“ zu übernehmen. Denn Underberg, das ist ja schon lange nicht mehr nur der Kräuterlikör in den typischen kleinen, in Papier gewickelten Fläschchen, der nach einem guten Essen – wissenschaftlich bewiesen – so wohl tut, sondern ein international tätiges Getränke-Unternehmen.

Doch das Geschäft mit dem Szenegetränk ließ man sich bewusst durch die Lappen gehen, weil „sich darin eine Substanz befand, die für Jugendliche schädlich ist“, erklärt Christiane Underberg. „Wir verkaufen auch keinerlei Alcopops und verzichten somit auf Gewinne, wenn wir das Geschäft ethisch nicht vertreten können.“ „Als Familienunternehmen können wir uns dem Zeitgeist auch mal widersetzen“, so fügt die resolute Dame („ich bin ganz schön dominant“) hinzu. „Anders als die kapitalmarktgetriebenen Unternehmen können wir unsere eigene Strategie verfolgen.“

 

Selbstbewusst, dominant, oder besser: in hohem Maße präsent, das ist Christiane Underberg, doch keine Spur dünkelhaft, immer dem Gegenüber zugewandt, freundlich interessiert und sich nicht zu fein, ihrer Besucherin bei der Besichtigung gar die Aktentasche zu tragen. Geboren wurde Christiane Schattauer in Frankfurt/Oder, flüchtete mit ihren Eltern 1945 nach Dortmund und bevor sie 1962 Emil Underberg heiratete, absolvierte sie zunächst eine Ausbildung als Sozialarbeiterin. Architektur hätte auch noch zur Wahl gestanden, „doch mich interessiert der Mensch“. Schon Ende der 60er Jahre erwachte auch ihr Interesse am Umweltschutz. Damals hob sie gemeinsam mit dem WWF ein Naturschutzprojekt im Alpenraum, genauer in Achenkirch/Tirol aus der Taufe, dem sie und ihr Mann finanziell auf die Beine halfen. Weidenutzung und Massentourismus sollen mit Natur- und Landschaftsschutz unter einen Hut zu gebracht werden. Doch wie kamen die Underbergs auf diese Idee? Dazu muss man wissen, dass beide Jäger sind. Als eine der ersten Frauen machte Christiane Underberg schon 1958 ihren Jagdschein und sieht sich in ihrer Funktion als Vorsitzende der Arbeitsgruppe „Jagdliche Ethik“ im „Internationalen Jagdrat zur Erhaltung des Wildes“ auch in der Rolle der Tier- und Naturschützerin. In Tirol hatte das Ehepaar eine Jagdpacht und wurde so auf die Probleme dort aufmerksam.

In den 70er Jahren führte die Mutter von vier Kindern den landwirtschaftlichen Betrieb der Schwiegermutter. „Da stieß ich schnell an die Grenzen der Intensivlandwirtschaft“. So stellte sie den Hof auf extensive Bewirtschaftung um.

Seit 1993 ist Christiane Underberg im WWF engagiert, erst als Mitglied des Kuratoriums, dann im Stiftungsrat und seit 2001 auch im Programmausschuss der Umweltschutzorganisation. Bei dieser Aufgabe versucht sie immer, Lagerdenken zu überwinden und ganz besonders wichtig ist ihr: „Es gibt keinen Naturschutz ohne den Menschen. Nachhaltigkeit bedeutet für mich stets auch die Nutzung der natürlichen Ressourcen.“

 

Die vielen ehrenamtlichen Tätigkeiten und Funktionen, die die engagierte Unternehmerin in den letzten 35 Jahren ausübte, reichen von der Mitgliedschaft im Bund Katholischer Unternehmer, über den Vorstandsvorsitz des Vereins zur Erhaltung des Xantener Domes bis hin zur Mitarbeit in der Frauenkommission der Diözese Münster. Für ihr vielfältiges soziales und ökologisches Engagement wurde sie 2004 mit dem Bundesverdienstkreuz der 1. Klasse ausgezeichnet. Ihr jüngstes Projekt: Im Beirat der Stiftung „Sonne für Kinder“ unterstützt sie Hilfsprojekte eines Solarunternehmens. 

 

Auch wenn sie und ihr Mann die Leitung des operativen Firmengeschäfts längst in die Hände ihrer Tochter gelegt haben, so mischt die Seniorchefin doch noch kräftig mit – „ohne dabei meiner Tochter in die Quere zu kommen“, versichert Christiane Underberg und gesteht aber auch ein: „Ich bin wohl manchmal etwas zu impulsiv.“ Sie kümmert sich vor allem um die Personalpolitik. Mit dem autoritären Führungsstil der früheren Generation räumte sie gründlich auf. „Das entspricht nicht meinem Menschenbild, das stark in meiner Zeit als Fürsorgerin geprägt wurde.“ Das Leitbild ihrer Familie seien die ethischen Grundsätze der christlichen Weltanschauung. Dazu gehören neben Teamgeist und Spielräumen für eigene Ideen auch, dass Fehler erlaubt seien. Gar nicht leiden kann Christiane Underberg jedoch, wenn Mitarbeiter nicht dazu stehen, was sie getan haben. „Vertuschung und Lügen verderben das Vertrauen“. Zur Unternehmenskultur der Underbergs gehört auch, dass sie für ihre Beschäftigten ansprechbar sein wollen. Von ihren Leuten erwartet die Seniorchefin Begeisterungsfähigkeit und Lernbereitschaft. Das Unternehmen bietet dafür –  neben einem sicheren Job – „große Spielräume für die einzelnen, in ethischen Grenzen wohlgemerkt“. Bei Mobbing zum Beispiel gibt es kein Pardon.   

 

Im Leben der „Kräuterhexe“ lief längst nicht alles glatt: Ein Kind starb bei der Geburt, eine eigene Krebserkrankung hat sie gerade erst überwunden. „Doch Krisen gehören zum Leben und prägen die Persönlichkeit“, weiß Christiane Underberg. Die starke Frau hat noch viel vor. Besonders der ökologische Umgang mit den wichtigsten Ressourcen, den Kräutern, liegt ihr am Herzen. In der Schweiz unterstützt sie eine Stiftung, die sich um die Artenvielfalt von Kräutern bemüht. Entscheidend aber: Eines Tages will die Unternehmerin sagen können, dass nachweislich alle Ressourcen der Kräuterprodukte aus biologisch angebauten Quellen stammen.

 

 

 

Das Unternehmen Underberg

Die 1846 gegründete Underberg KG beschäftigt rund 1000 Menschen in vielen Ländern. Neben dem Magenbitter Unterberg gehören Produkte wie Asbach, Averna, Glenfiddich, Moskovskaya oder Münchner Kindl zum Portfolio. Darüber hinaus ist das Unternehmen auch auf dem Wein- und Sektmarkt aktiv. Produziert wird in Deutschland (Berlin, Erding und Rüdesheim), in Österreich, der Schweiz, Frankreich und Ungarn. Hierzulande ist die Marke Underberg Marktführer; das Unternehmen setzt weltweit rund 500 Millionen Euro um.