In: Frankfurter Rundschau, 12.8.2005

 

Der Behutsame

 

Der Manager Ignacio Campino tritt bescheiden auf – weiß aber, was er will: eine nachhaltige Deutsche Telekom

 

von Heike Leitschuh-Fecht

 

 

Er arbeitet gerne mit Bildern und auch mit Emotionen. „Zahlen überzeugen, doch Emotionen wecken Energie“, sagt Ignacio Campino, Chef des Nachhaltigkeitscenters bei der Deutschen Telekom. Deshalb hat er zum „Nachhaltigkeitstag“ –  den die Telekom als bisher einziges Unternehmen im Juli zum dritten Mal veranstaltete –  auch ein Improvisationstheater engagiert, das das Thema von der heiteren Seite anpackt. Am lustigsten ist es immer, wenn Campino selbst mit auf der Bühne steht.

Seit zehn Jahren ist der gebürtige Chilene und studierte Agrarökonom nun bei der Telekom und er hat eine klare Vorstellung, wohin sein Unternehmen steuern sollte: „Die Telekommunikation ist das Nervensystem unserer Gesellschaft. Mit ihr können wir helfen, gesellschaftliche Probleme zu lösen, zuvorderst die Energiefrage. Wenn es uns nur gelänge, zehn Prozent des Personenverkehrs zu vermeiden, so könnten wir damit bundesweit etwa 18 Millionen Tonnen CO2-Emissionen verhindern. Das wäre mehr als das Zwanzigfache der direkten und indirekten CO2-Emissionen unseres Unternehmens“, rechnet Campino vor.

Der Manager hat dabei nicht nur Telefon- und Videokonferenzen im Blick, sondern vor allem die Pendlerströme: „Die Frage ist, ob und wie Berufspendler durch die Telekommunikation glücklicher werden“, sagt er. Denn zufrieden sind die in der Regel nicht, wie eine Studie der Universität Zürich von 2003 zeigt. Die Lebensqualität von Pendlerinnen und Pendlern ist meist stark eingeschränkt, und natürlich verursachen sie jede Menge Verkehr und Emissionen. Beides, meint der 58-Jährige, könnte durch Telearbeitsplätze, also einer anderen Arbeitskultur, positiv beeinflusst werden.

Dematerialisierung sollte der andere zentrale Beitrag der Telekommunikation zu einer nachhaltigen Gesellschaft werden. Ein Beispiel dafür gab die Deutsche Telekom bisher mit ihrer T-NetBox, die Sprachnachrichten, E-Mails oder Faxe bündelt und potenziell 20 Millionen Anrufbeantworter und Faxgeräte ersetzen könnte. Deshalb hat das Freiburger Öko-Institut diese Innovation in seine „EcoTopTen“-Liste der viel versprechenden nachhaltigen Produkte und Dienstleistungen aufgenommen. Inwieweit dieses große Potenzial tatsächlich ausgeschöpft werden kann, wird jedoch davon abhängen, ob es gelingt, die Verbraucherinnen und Verbraucher für diese Technologien zu gewinnen, die eine Änderung des Verhaltens voraussetzen. „Die Kommunikation der Nachhaltigkeit mit unseren Kundinnen und Kunden ist ein neues und sehr spannendes Betätigungsfeld. Hier steht die Telekom ganz am Anfang“, so Campino. Auch Heinz Laing von Greenpeace sieht den wichtigsten Beitrag des Unternehmens zur Nachhaltigkeit darin, mit seinen Technologien die Transporte zu reduzieren, insbesondere die Geschäftsreisen. Im Moment vermisst er jedoch eine entsprechend klare Strategie. „Es kann doch nicht nur darum gehen, rund um die Uhr und im entlegensten Winkel der Welt erreichbar zu sein.“

 

Ignacio Campino konnte schon vieles erreichen in seinem Unternehmen: Zum Beispiel wurde der Energieverbrauch von 1995 bis 1993 um rund 15 Prozent und die Kohlendioxidemissionen um die Hälfte gesenkt. Er hat die Rückendeckung des Vorstandes. Trotzdem muss er immer wieder Hindernisse beiseite schaffen. Dabei geht der liebenswürdige Manager behutsam vor. Er ist kein Mann, der mit der Brechstange arbeitet. Er tritt bescheiden auf, stets höflich, weiß aber genau, was er will. „Wenn ich merke, der Widerstand ist zu groß, dann versuche ich es an einer anderen Stelle.“

 

Es gibt jedoch Situationen, da kämpft auch Campino offen und zäh bis zum bitteren Ende. So zum Beispiel, als es darum ging, alte ausrangierte Technik zu recyceln. Die in den elektronischen Geräten enthaltenen Edelmetalle sollten zurück gewonnen werden. Der Haken: Die Geräte waren stark mit den toxischen Polychlorbiphenylen (PCB) belastet. Aus Kostengründen gab es Überlegungen, den Elektroschrott in China zu bearbeiten. Doch da legte Campino sein Veto ein. Weder die fachlichen Voraussetzungen noch die Menschenrechtssituation im Land ließen dort ein Recycling nach akzeptablen Standards erhoffen. Diese Auseinandersetzung ging bis zum Vorstand, und letztlich wurde entschieden, die Geräte in Europa zu entsorgen, obwohl dies um einen zweistelligen Millionenbetrag (!) teurer war. „Hätten wir unsere kontaminierte Technik nach China verfrachtet, wäre hier bald der Teufel los gewesen – mit enormem Schaden für unser Image.“

 

Wie in diesem Fall stellt sich bei allem die Frage nach dem entscheidenden Hebel, dem zündenden Argument. Für Ignacio Campino liegt ein großes Problem, das er mit seinen Kollegen aus anderen Unternehmen teilt, darin, dass er den „Business Case“ für seine Arbeit nicht immer sauber nachweisen kann. Also die gnadenlose Frage: Was bringt das dem Unternehmen ökonomisch? „Wie soll ich zum Beispiel sagen, wie sich ein gutes Image auszahlt?“, fragt Campino achselzuckend. In anderen Fällen, wenn es um Energieeinsparung oder Abfallvermeidung, also um klassische Umweltthemen geht, sind die Erfolge sehr viel leichter auch in Zahlen und Fakten zu belegen. Doch Nachhaltigkeit hat ja viel mit strategischen Weichenstellungen für die Zukunft zu tun, die das Unternehmen insgesamt auf eine solide ökonomische, sozial-kulturelle und ökologische Basis stellen sollen. Die Früchte dieser Arbeit lassen sich eher ermessen, hält man dagegen, was langfristig passieren würde, wenn man dies alles nicht täte. Letztlich ist eben vieles gar nicht monetär bewertbar.

 

Campino weiß sehr genau, dass sein Unternehmen auch positive politische Rahmenbedingungen für die Nachhaltig braucht. Deshalb engagiert es sich zum Beispiel für internationale Klimaschutzvereinbarungen. 2000 nahm ein Telekom –Vorstand an den Verhandlungen der UN zum Klimakonvention in Den Haag teil. Doch die Veranstaltung wurde zum Flop und Campino, sonst nicht leicht zu frustrieren, war „regelrecht deprimiert“. Freunde einer Umweltorganisation ermunterten ihn weiter zu machen und so half die Telekom 2001, eine Initiative ins Leben zu rufen, bei der sich globale Großunternehmen für das Kyoto-Protokoll einsetzten. „Der Vorstand war noch ein letztes Mal bereit, vorneweg zu gehen“, und so trat die Deutsche Telekom als eines der ersten Unternehmen der „e-mission 55 – business for climate“-Kampagne von Germanwatch, WWF und European Business Council for a Sustainable Energy Future (e5) bei. Unter anderem mit großen von US-Unternehmen finanzierten Anzeigen in der Washington Post und einer öffentlichkeitswirksamen Aktion am Brandenburger Tor trug das Bündnis aus 150 Unternehmen maßgeblich dazu bei, dass die Klimaverhandlungen in Bonn weiter kamen.

 

Woher kommen Impulse für weitere Veränderungen? Telekommunikationsunternehmen haben eine gewaltige Einkaufskraft von vielen Milliarden Euro oder Dollar pro Jahr. Seit einiger Zeit wollen nun die Nachhaltigkeitsanalysten wissen, wie es die Unternehmen mit den ökologischen und sozialen Standards ihrer Lieferanten und Sublieferanten halten. In Europa gibt es strenge Regelungen. Aber werden diese Vorschriften zum Schutze der Natur und der Beschäftigten auch in den Betrieben beachtet, die aus fernen Ländern liefern? Dies ist auch eine Frage, die Campino und seinen Kollegen in Zukunft reichlich beschäftigen wird.

 

Ausführlichere Informationen zur Arbeit von Ignacio Campino finden sich im Buch der Autorin:  "Nachhaltig die Zukunft managen. Pioniere in globalen Unternehmen - Porträts und Hintergründe", 194 Seiten, 29 €, Bern 2005.

 

Die Deutsche Telekom AG mit Sitz in Bonn ist in drei Geschäftsfelder aufgeteilt (T-Com, T-Mobile und T-Systems) und hat rund 213.500 Beschäftigte. Das Unternehmen legt Wert auf seine gesellschaftliche Verantwortung: Von 1997 bis 2004 stieg die Zahl der Auszubildenden von 6662 auf über 11.500. Frauen, 34 Prozent der Belegschaft, haben 18 Prozent der Führungspositionen inne.

2002 war für die Deutsche Telekom das bisher schwierigste Jahr: Trotz eines Umsatzplus von 11 Prozent (gesamt: 53,7 Milliarden Euro) musste sie einen Verlust in Höhe von über 24,6 Milliarden Euro hinnehmen. Als Gründe nannte das Unternehmen außerplanmäßige Abschreibungen und Wertberichtigungen, die jedoch nicht die Finanzkraft des Konzerns beträfen. Zwei Jahre später konnte das Ergebnis wieder auf 6,5 Milliarden Euro gesteigert werden. Trotzdem will die Telekom ihre Kosten senken, die Effizienz steigern, Schulden und Stellen abbauen, was jedoch bis 2008 in der AG keine betriebsbedingten Kündigungen nach sich ziehen soll. Der T-Konzern hat Tochterunternehmen und Beteiligungen in 29 Ländern. 2004 gelang es dem Unternehmen erneut, vordere Plätze bei Ratings zur Nachhaltigkeit zu erlangen.